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30.03.2023

"Es würde nicht schaden, wenn ein Bischof sich auf die Straße hockt"

Ernst Hörmann (Mitte) bei einer Straßenblockade. Foto: Leonardo Elgas

Ernst Hörmann (72) hat seit 2019 nach eigenen Angaben in Freising über 20 Demos zur Klimagerechtigkeit organisiert. Anfang 2022 schloss er sich dann den Aktivisten der Letzten Generation an. Er war an deren erster Straßenblockade in Berlin und zahlreichen weiteren Aktionen beteiligt. In München und Umland hält er Vorträgen für die Aktivistengruppe. KAB-Referent Christian Ziegltrum hat ihn zu Beweggründen, Zielen und Vorgehensweisen interviewt.

Herr Hörmann, viele werfen der Letzten Generation vor, apokalyptisch zu sein. Tatsächlich gehen Sie davon aus, dass die Vernichtung unserer Zivilisation bevorsteht. Wie kommen Sie zu dieser Überzeugung?

Das sagt uns die Wissenschaft. Die Wissenschaft sagt uns, wo wir landen werden, wenn wir so weitermachen wie bisher. Und wir fahren seit 2015 haargenau auf dem schlechtesten Szenario, das das Intergovernmental Panel on Climate Change, abgekürzt IPCC, entworfen hat. Von dem wir immer angenommen haben, dass es nicht so schlimm kommen wird.

Wenn wir weiterhin diesen Pfad nicht verlassen, dann werden wir in 50 Jahren bei über drei Grad plus liegen. Und Stefan Rahmstorf vom PIK, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, hat z.B. gesagt, vier Grad wird unsere Wirtschaft nicht erleben. Wir sind vorher zusammengebrochen.

Bei drei Grad ja schon – bei diesem Szenario „Weiter so“ bis 2070 – leben drei bis 3,5 Milliarden Menschen in einem Bereich, wo wir 29 Grad durchschnittliche Temperatur haben werden. So wie wir es heute in der Sahara haben. Das ist Brasilien, das ist Indien, das ist Pakistan, das ganze Südostasien. Und wo gehen denn die Menschen hin? Wer schreit denn, „kommt zu uns“?

Sie sprechen immer wieder auch von „Kipppunkten“. Was ist damit gemeint?

Diese Kipppunkte heißen: Durch positive Rückkopplung gibt es eine weitere Verstärkung, wo dann ein bestimmter Ablauf nicht mehr zum Stoppen kommt. Wie z.B. das Tauen von Polareis. Das Tauen des Eises in Grönland. Das Tauen des Permafrosts in den borealen Bereichen. Es geht dann immer weiter und verstärkt sich.

Die Kipppunkte sind damals 2015 in den Szenarien von IPCC noch gar nicht berücksichtigt. Die wurden das erste Mal vor ca. sechs oder sieben Jahren wissenschaftlich erarbeitet. Und im September letzten Jahres kam eine neue Studie raus, an der sehr viele Wissenschaftler weltweit gearbeitet haben. Sie haben gezeigt, dass das alles viel früher kommt als gedacht. Es gibt sechs Kipppunkte, die schon vor 1,5 Grad Erwärmung kommen können. Und da wir – das dürfte erwiesen sein – die 1,5 Grad aus dem Klimaabkommen von Paris nicht mehr einhalten können, haben wir die sichere Zone verlassen.

Klimaabkommen in Gefahr: Vertreter der Staaten am ersten Tag der Weltklimakonferenz 2015 in Paris. Foto: Presidencia de la República Mexicana
Klimaabkommen in Gefahr: Vertreter der Staaten am ersten Tag der Weltklimakonferenz 2015 in Paris. Foto: Presidencia de la República Mexicana


Wie viel Zeit bleibt aus Ihrer Sicht noch, um das Schlimmste abzuwenden?

Wir können nicht exakt errechnen, wann der Punkt erreicht ist, weil es zu komplex ist. Aber wir haben Wissenschaftler erster Sahne, Menschen wie Joachim Schellnhuber, der das Potsdam-Institut vor 30 Jahren gegründet hat, und der auch Papst Franziskus beraten hat bei seiner Enzyklika „Laudato si“. Wenn der uns sinngemäß sagt: Wir schieben unsere Kinder in einen globalen Schulbus, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent tödlich verunglückt, dann wissen wir doch, wie schlimm es ist. Wenn er den Kindern nur noch eine Zwei-Prozent-Chance gibt.

Oder wenn der englische Schellnhuber, Sir David King, uns sagt – und das war schon vor zwei Jahren – die nächsten drei bis vier Jahre werden entscheiden über die Zukunft der Menschheit, dann wissen wir doch, wie nah wir an diesem Kipppunkt dran sind. Da vertraue ich den Aussagen dieser Menschen, die ihr Leben lang geforscht haben.

Wir geben nur weiter, was die Wissenschaft uns sagt. Es sind keine überzogenen Forderungen.

Gibt es nicht auch Wissenschaftler, die die Lage weniger dramatisch sehen?

98 oder 99 Prozent der Wissenschaftler sind auf der Linie, die ich beschrieben habe. Dann gibt es noch Wissenschaftler, die bezahlt werden und Eigeninteressen haben. Und wie sich die dann äußern, das kann man sich denken. Aber unter ernstzunehmenden Wissenschaftlern wird man kaum Menschen finden, die den Ernst der Lage anzweifeln.

Was wollen Sie als Letzte Generation erreichen? Was sind Ihre Forderungen und Ziele?

Wir wollen erreichen, dass wir als Gemeinschaft das Schlimmste, was auf uns zukommt, also den Klimakollaps, noch verhindern. Das ist das übergeordnete Ziel.

Wir müssen unsere Ressourcen so konzentrieren, dass wir alle satt werden und vernünftig leben können, aber wir müssen das „Zuviel“ einfach kappen. Das heißt, wir brauchen eine Notfallwirtschaft. Wir werden vorgeben müssen, was produziert werden muss. Wir stehen vor der größten Herausforderung der Menschheit.

Die Subventionen, die stören, muss ich abbauen. Ich darf nicht weitere Straßen bauen. Ich darf nicht Flughäfen weiter bezuschussen und Startbahnen bauen wollen. Dienstwagenprivileg – das ist alles kontraproduktiv. Kerosin – keine Steuer. Es gibt eine Steinkohlenunterstützung. Wir subventionieren die Braunkohlewirtschaft. Das heißt, die bezahlen nicht einmal das, was sie anrichten, sondern wir zahlen, damit sie uns alles kaputtmachen.

Was ist Ihr Plan? Wie wollen Sie diese Ziele als Bewegung erreichen?

Wir werden so lange weitermachen, bis der Druck so groß auf die Regierung ist, dass sie bereit ist, den Notfall anzuerkennen. Und dazu brauchen wir die Gesellschaft. Wir brauchen diesen sozialen Kipppunkt, wo mehrere Millionen Menschen auf die Straße gehen und die Zukunft einfordern und eine Politik einfordern, die dem Grundgesetz entspricht.

Im Grundgesetz, Artikel 20a steht, dass der Staat die Aufgabe hat, die Lebensgrundlage für folgende Generationen zu erhalten. Und im Artikel 2, Absatz 2 steht: Jeder – also auch der Mensch in Somalia ist damit gemeint, nicht jeder Deutsche – jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das gilt auch für unsere Enkel.

In dem Beschluss vom Bundesverfassungsgericht vom 24. März 2021 hat die Politik den Auftrag bekommen, bis zum 31.12.2022, also letzten Silvester, zu regeln, wie nach 2030 – bis wir klimaneutral sind – die Lasten, also die Freiheitseinschränkungen, gleichmäßig auf alle Generationen verteilt werden. Das heißt, es hätte ein Plan gemacht werden müssen. Unsere Bundesregierung hätte ein Gesetz ausarbeiten und dem Bundestag zur Abstimmung vorlegen müssen. Das wäre ihre Pflicht gewesen. Aber sie haben nicht einmal diskutiert, es ist überhaupt nicht erwähnt worden.

Wir sagen: Wir brauchen einen Bürgerrat. Ein Bürgerrat ist ein Abbild der Gesellschaft, wo alle Schichten, alle Geschlechter usw. repräsentiert sind. Diese Menschen werden informiert von der Wissenschaft und beraten dann die wichtigsten Prämissen, wie die Politik ausgerichtet wird. Wir brauchen jetzt die Vorgaben, sodass wir überleben können.

Erster Senat des Bundesverfassungsgerichts. Foto: © Bundesverfassungsgericht │ lorenz.fotodesign, Karlsruhe

Freiheitseinschränkungen gleichmäßig auf alle Generationen verteilen: Zweiter Senat des Bundesverfassungsgerichts. Foto: © Bundesverfassungsgericht │ lorenz.fotodesign, Karlsruhe


Sie wollen zivilen Widerstand leisten. Sie haben Straßen und Flughäfen blockiert, Gemälde überschüttet. Denken Sie, dass man Ihre Ziele nur so erreichen kann? Wie steht es mit anderen Formen der politischen Partizipation, z.B. Teilnahme an Wahlen, Bürgerentscheide oder Engagement in Parteien?

Das dauert alles zu lang. Ich meine, wir alle haben ja Petitionen unterschrieben ohne Ende. Ich unterschreibe auch heute noch welche. Aber ich weiß, das reicht nicht. Ich habe deutlich mehr als 20 Versammlungen in Freising angemeldet und war Versammlungsleiter. Also der ganz normale Bürger… es hat aber alles nicht interessiert. Und wir sehen, wir haben keine Zeit mehr, das zu machen, was wir bisher gemacht haben.

Und ich habe mich einfach dann dieser Letzten Generation angeschlossen, weil die eine andere Qualität an Protest, an Widerstand gezeigt hat. Und ich darin jetzt noch die letzte Chance sehe.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Gewalt? Ist es für Sie ok, wenn bei Ihren Protesten Menschen zu Schaden kommen?

Nein. Also, wir sind absolut friedlich. Wir werden alles tun, damit Menschen keinerlei Schaden haben. Wir machen eine Rettungsgasse, das war von Anfang an klar, ich war bei der ersten Blockade dabei. Und wir haben auch, wenn erkennbar war, da war einer drinnen, der Arzt ist und wo hinmuss, dann haben wir auch vier, fünf Autos wegfahren lassen, damit der raus kann. Wir haben das nie so dogmatisch gesehen. Viele Autofahrer haben halt keine Rettungsgasse gebildet. Aber dann muss ich auch über die Polizei klagen. Die haben nie darauf geachtet, dass so etwas gebildet wird.

Warum gehen Sie nicht den Weg über angemeldete Demonstrationen, wie z.B. Fridays for Futute es tut?

Das wird ja schon von den Fridays abgedeckt. Die Fridays haben es ja geschafft, in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße zu bringen, da war ich auch mit auf der Straße. Das Wichtigste ist, dass der Druck auf die Regierung groß wird. Und ich gehe auch zu den Demos bei denen mit. Ich bin dankbar für jeden Menschen, der da mitgeht. Aber das reicht nicht.

Ich habe aus unserem Verband schon öfter die Kritik gehört: Die jungen Leute sollen sich lieber vernünftig ausbilden lassen und selbst Verantwortung übernehmen, statt zu demonstrieren oder sich an Straßen festzukleben. Denn ohne genügend Fachkräfte bekommen wir die klimaneutrale Wirtschaft nicht hin. Was sagen Sie dazu?

Das ist das tödliche Weiter-so. Die Wirtschaft will immer nur wachsen und Gewinne machen. Und warum kann ich von den Kindern und von der Jugend fordern: Sie sollen sich ausbilden – für was, wenn unser System hinübergeht? Wir haben nicht mehr die Zeit. Wir können nicht warten, bis die Neuen ans Ruder kommen.

Die Letzte Generation wird oft als Bewegung junger Menschen wahrgenommen. Tatsächlich sieht man in den Medien immer wieder auch ältere Aktivistinnen und Aktivisten. Wie ist ihre Altersstruktur und welche Menschen kommen zur Letzten Generation?

Es gibt bei uns alles von 18 bis knappe 80, glaube ich. Ich war lange Zeit der Älteste, aber wir waren am Anfang ja auch nur 27 oder 28 Leute. Es ist sehr ausgewogen, muss ich sagen. Der Schwerpunkt mag vielleicht so zwischen 20 und 35 sein. Es wird ein bisschen dünner nach oben. Aber wir sind vielleicht eine der Umweltorganisationen, wo am repräsentativsten die Älteren vertreten sind. Es ist klar, dass ein Familienvater, der daheim noch ein 12jähriges Kind hat, sich verdammt hart tut. Aber ich kenne auch solche. Da bin ich natürlich als Pensionist privilegiert und sage: Ich muss es doppelt.

Polizeieinsatz in München bei der Blockade am Stachus, 05.12.2022. Foto: Letzte Generation

Polizei löst die Straßenblockade am Münchner Stachus am 05.12.2022 auf. Foto: Letzte Generation


Bei einem großen Teil der Bürger und der Presse ist die Letzte Generation nicht unbedingt beliebt. Oft ist die Kritik, dass das Anliegen gut, die Protestform aber falsch ist. Denken Sie trotzdem, dass Sie auf dem richtigen Weg sind? Wie messen Sie Erfolg?

Die Menschen, die uns am meisten kritisieren, haben wahrscheinlich am allerwenigsten den Klimaschutz am Hut. Sondern denen sind wir einfach lästig, die wollen uns weghaben.

Also, die Fridays wurden ja am Anfang auch schwer bekrittelt: Sie sollen doch in die Schule gehen und nicht schwänzen und sollen lieber was lernen. Als wir dann einen draufgesetzt haben, hat man das alles wieder vergessen und sieht die als die lieben, braven Kinder, die alles richtiggemacht haben.

Es wird von der seriösen Presse und von den Medien erkennbar besser. Immer weniger werden nur unsere Methoden erwähnt, sondern auch die Notwendigkeit. Und das ist entscheidend. Innerhalb von einem Jahr, nach einer kurzen Zeit mit so wenig Menschen so viel Aufmerksamkeit zu bekommen und das Thema Klima wieder mit in die erste Reihe zu bringen, ist doch schon ein Erfolg. Anfangs, beim Hungerstreik in Berlin, waren es ja höchstens sieben Personen.

Dass Sie für Ihre Aktionen auch ins Gefängnis kommen können, schreckt Sie nicht ab?

Ich wäre jederzeit bereit, auch in Präventionshaft zu gehen. Weil einfach für unsere Kinder es unvergleichlich viel schlimmer kommt. Und wenn ich damit einen Dienst tun kann, dass ich es vielleicht abwenden kann, dann werde ich es tun.

Wir tragen unsere Strafen voll und ganz, und wir bringen damit sogar die Politik in ein Dilemma. Es gibt ja auch sehr viele in der Bevölkerung, die hinterfragen: Jetzt sperren sie schon diejenigen ein, die sich fürs Klima sorgen. Das ist auch mit ein Strategiepunkt von uns. Der Bevölkerung wird damit eher bewusst, dass unsere Regierung nicht richtig handeln kann. Dass da was nicht stimmt. Dass das nicht in Ordnung ist.

Was haben Sie in den nächsten Monaten vor?

Wir wollen – auch in München – auf die Straße. Wir werden weiter mobilisieren, damit wir mehr werden. Und wir gehen auch in die Regionen raus. Streng genommen sollten wir auch in Augsburg blockieren. Auch in Rosenheim blockieren. Sobald wir in einzelnen Städten genügend Menschen haben, werden wir auch dort was machen.

Und was wir brauchen, sind Säulen wie die Kirche, die ja eigentlich den Auftrag von Jesus hat, für die Zukunft zu sorgen, die Schöpfung zu erhalten, die Menschen zu lieben. Wenn die Kirchen sich, so wie Pater Jörg Alt, mit uns auf die Straße begeben… Es würde nicht schaden, wenn auch mal ein Bischof sich auf die Straße hockt und wegtragen lässt. Sowas würde die Menschen zum Nachdenken bringen. Es wäre notwendig! Wir sind am Abgrund und wir wollen den Absturz verhindern.



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