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01.07.2020

Warum fordert die KAB 13,69 Euro Mindestlohn?

Dr. Michael Schäfers. Foto: KAB

Interview mit Dr. Michael Schäfers, Leiter des Grundsatzreferats der KAB Deutschlands: Warum Mindestlohn? Warum 13,69 Euro? Wie wirkt sich der Mindestlohn auf die Arbeitnehmer*innen und die Beschäftigung in Deutschland aus?

Warum setzt sich die KAB für einen gesetzlichen Mindestlohn ein?

Michael Schäfers: Eine zentrale Forderung der Soziallehre der Kirche war und ist ein fairer und gerechter Lohn, der zum Leben für die arbeitenden Menschen und ihre Familien reicht. Der politische gewollte Ausbau des Niedriglohnsektors hat zu skandalös niedrigen Löhnen geführt, von denen niemand menschenwürdig leben kann, geschweige denn eine Familie. Armut trotz Arbeit ist die Folge.

Der gesetzliche Mindestlohn zieht eine Grenze nach unten ein. Er ist eine Haltelinie gegen die Ausbeutung der Beschäftigten. Für die KAB als Bewegung für soziale Gerechtigkeit ist es geradezu eine Pflicht, sich für einen angemessenen gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen. Lohnarmut in einer reichen Gesellschaft bedeutet Ausgrenzung, weniger soziale Sicherheit und Teilhabe. Für uns hat der gesetzliche Mindestlohn deshalb ganz zentral auch eine gesellschaftliche und soziale Funktion. Es geht nicht einfach nur um mehr Geld, sondern um ein menschenwürdiges Leben für alle und den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft durch faire und gerechte Löhne.

Wie wird die Höhe des Mindestlohns berechnet, wieso 13,69 Euro?

Der ab Januar dieses Jahres geltende gesetzliche Mindestlohn von 9,35 Euro ist eindeutig zu niedrig. Das wird ja gerade auch in der Politik heftig diskutiert und es zeichnet sich mehrheitlich ein Konsens ab, den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro ansteigen zu lassen. Aber selbst diese Höhe ist zu niedrig, um etwa Altersarmut zu verhindern.

Wir meinen, dass mindestens 60 Prozent des Bruttomonatsverdienstes von Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer*innen im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich eine angemessene Schwelle ist. 2017 lag dieser Bruttomonatsverdienst durchschnittlich bei 3.771 Euro. Das ergibt dann einen Stundenlohn von 13,69 Euro, der als gesetzlicher Mindestlohn festgeschrieben werden sollte. So die Forderung und letzte Beschlusslage der KAB. Wir sind uns bewusst, dass selbst diese Höhe nicht ausreichend ist, etwa um vor Altersarmut zu schützen. Da wären wir in einer Größenordnung von ca. 15 Euro…

Welche Auswirkungen hat der gesetzliche Mindestlohn auf die davon profitierenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?

Die erste Auswirkung liegt auf der Hand: Mehr Lohn in der Tüte! Mehr Geld zum Leben. Dann bedeutet ein höherer gesetzlicher Mindestlohn in unseren erwerbsarbeitszentrierten Sicherungssystemen natürlich mehr Absicherung bei Arbeitslosigkeit und eine bessere Rente. Das sind sozusagen zwei handfeste, materielle Auswirkungen. Es geht aber um mehr.

Die Höhe des Lohnes ist auch eine Anerkennung für geleistete Arbeit. Angesichts der Corona-Pandemie wird ja Gott sei Dank auch über die sehr niedrigen Löhne, etwa in der Pflege, der Logistikbranche und im Hotel- und Gaststättenbereich diskutiert. Es wird endlich öffentlich, wie skandalös niedrig die Einkommen sind, gerade für diejenigen, die nun als „systemrelevant“ eingestuft werden, Tag für Tag schuften und oftmals von ihrem Lohn nicht leben können. Lohn ist nicht nur Anerkennung für individuelle Leistung, sondern spiegelt auch das Wertgefüge einer Gesellschaft wider. Und da liegt einiges im Argen… Es ist gut, dass die Debatte jetzt beginnt, welchen Wert und soziale Funktion eine Arbeit für die Gesellschaft und den sozialen Zusammenhalt hat. Das muss sich dann auch in der Lohnhöhe ausdrücken. Mit Klatschen alleine ist es nicht getan…

Welchen Einfluss hat der Mindestlohn auf die Beschäftigung?

Alle Befürchtungen bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, dass es zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen, zu Betriebsverlagerungen und einem Hochschnellen der Arbeitslosenzahlen kommen werde, haben sich als falsch erwiesen. Demgegenüber gibt es zahlreiche positive Effekte auf die Beschäftigung. So wurde durch den gesetzlichen Mindestlohn das Lohngefälle zwischen den alten und den neuen Bundesländern abgebaut.

Die Anzahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungen ist angestiegen, da vor allem Minijobs in reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umgewandelt worden sind. Davon haben vor allem Frauen profitiert. Zudem ist die Inlandsnachfrage gestärkt worden. Innerhalb Europas ist das Lohndumping, das u.a. durch den Ausbau des Niedriglohnsektors in Deutschland durch die Einführung der sogenannten „Hartz-Gesetze“ unterstützt wurde, zumindest abgemildert worden. Das sind nur einige positive Effekte. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ist eine Erfolgsgeschichte. Jetzt muss „nur“ noch die Höhe stimmen…

Wie wirkt sich der Mindestlohn auf das Tarifgeschehen aus?

Der gesetzliche Mindestlohn zieht – wie gesagt – eine Lohnuntergrenze ein, unterhalb derer auch keine Tarifvereinbarungen zulässig sind. Der Mindestlohn zieht das Tarifgeschehen sozusagen für alle Beschäftigten nach oben. Das zeigt sich dann vor allem etwa bei den branchenspezifischen Mindestlöhnen, aber auch bei den Tarifabschlüssen allgemein.

Wie kann die Einhaltung des Mindestlohnes kontrolliert werden?

Zuständig ist der Zoll. Nach eigenen Angaben hat der Zoll im Jahr 2015 1.316 und im Jahr 2018 6.220 Fälle an Mindestlohnunterschreitungen aufgedeckt. Trotz einer Ausweitung der verfolgten Verstöße werden in Deutschland aber weiterhin nur etwa 2 Prozent der Betriebe kontrolliert. Die Kontrolldichte durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bleibt aufgrund fehlenden Personals weiterhin zu gering. Zudem fallen die Sanktionen bei Verstößen gegen § 21 MiLoG in der Regel moderat aus. Das Personal beim Zoll muss deshalb deutlich aufgestockt werden, um eine höhere Kontrolldichte zu erreichen. Zudem setzt sich die KAB für eine Verschärfung der Dokumentationspflicht ein. Insgesamt ist von einer hohen Dunkelziffer bei den Verstößen gegen das MiLoG weiterhin auszugehen. Dies kann auch im Sinne eines fairen Wettbewerbs nicht hingenommen werden.

Was kann und wird die KAB zur Etablierung eines ausreichenden Mindestlohns beitragen?

Ohne die KAB und die Gewerkschaften gebe es keinen gesetzlichen Mindestlohn. Vor allem die Frauen und Männer der KAB in den Gewerkschaften haben den gesetzlichen Mindestlohn – auch gegen Widerstände – immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Als politische Bewegung haben wir die Politiker*innen immer wieder aufgefordert und ermahnt, jetzt endlich einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Jetzt haben wir die gesetzlichen Grundlagen und müssen nun offensiv und hartnäckig für eine Höhe von 13,69 Euro kämpfen. Wir sind stark in der politischen Lobbyarbeit beim gesetzlichen Mindestlohn, aber wir müssen noch lauter werden.

Dass sich jetzt ein Konsens in weiten Teilen der Politik abzeichnet, den Mindestlohn deutlich auf 12 Euro zu erhöhen, ist ein gutes Zeichen. Es ist auch das Ergebnis, dass wir in den letzten Jahren „dicke Bretter“ in der Politik gebohrt haben, immer wieder und stetig den gesetzlichen Mindestlohn thematisiert haben. Unser Markenkern ist die soziale Funktion des Mindestlohnes für die Menschen und unsere Gesellschaft immer wieder – sei es gelegen oder ungelegen – herauszustellen. Die Corona-Pandemie macht deutlich, dass diese gesellschaftliche Diskussion überfällig ist. Sie muss nun endlich geführt werden! Dabei kommt der politischen Bildungsarbeit als Diskussionsplattform in unserem Verband eine Schlüsselstellung zu.

Die KAB hat eine Online-Petition für einen Mindestlohn von 13,69 Euro gestartet. Nähere Infos hier auf unserer Website. 



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