Überfüllter Saal im KKV-Hansa-Haus mit Blick aufs Podium. Foto: KAB
Nachbericht zur Podiumsdiskussion "SOS in den bayerischen Kitas" vom 19.03.2024 mit Video und Pressemitteilung sowie die gesamte Veranstaltung zum Nachhören. Das Kita-Personal ist verärgert, fühlt sich seit Langem politisch übergangen – und richtet konkrete Vorschläge an die Landespolitik.
Bei der öffentlichen Diskussion am 19.03.2024 trafen rund 200 Kita-Beschäftigte und Fachverbände auf Melanie Huml (CSU), Katharina Schulze (Grüne) und Doris Rauscher (SPD).
Sehen Sie hier eine Zusammenfassung der Veranstaltung:
Die Diskussion in voller Länge ebenfalls auf Youtube können Sie hier hören.
Zahlreiche Medien in Bayern und bundesweit haben über die Ergebnisse der Podiumsdiskussion und die Botschaft der Kita-Fachkräfte an die Politik berichtet.
Zur Übersicht mit Links zu den Fundstellen gelangen Sie hier.
München, 22.03.2024. Nicht nur in der aktuellen Debatte um Fachkräftemangel, sondern bereits seit Jahrzehnten fühlen sich Kita-Beschäftigte von den politisch Verantwortlichen missachtet und übergangen. Dabei haben sie vor dem Hintergrund ihrer Fachkenntnisse und Praxiserfahrung konkrete Verbesserungsvorschläge. Das ist das Ergebnis der Podiumsdiskussion „SOS in den bayerischen Kitas“ vom 19.03.2024 mit anschließender Publikumsbefragung. Eingeladen hatten die KAB-Facharbeitsgruppe Kindertagesstätten (KAB AG Kita) und der Verband Kita-Fachkräfte Bayern. Für die Landespolitik auf dem Podium vertreten waren die Staatsministerin a.D. Melanie Huml (CSU) in Vertretung der bayerischen Sozialministerin Ulrike Scharf, die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze sowie Doris Rauscher (SPD), Vorsitzende des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag. Fachverbände und Praktiker:innen diskutierten mit ihnen über die aktuelle Lage in den Kitas und Verbesserungsmöglichkeiten. Auch aus dem Publikum meldeten sich Fach- und Führungskräfte aus den Kitas eindringlich zu Wort.
„Vor allem wünschen sich die Kita-Fachkräfte mehr Personal, kleinere Gruppen und eine bessere Finanzierung ihrer Arbeit, auch höhere Löhne“, erklärt Sibylle Schuster, Geschäftsführerin der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) München und Freising und Leiterin der KAB-Facharbeitsgruppe Kindertagesstätten. „Sehr deutlich wurde, dass gleichzeitig die pädagogische Qualität in den Kitas wieder steigen muss. Ein rein zahlenmäßiges Personalwachstum geht am Problem vorbei.“ Konkreter Vorschlag an die Landespolitik sei ein verbesserter Anstellungsschlüssel, in den Kita-Leitungen nicht eingerechnet werden. Auch müsse das Fachpersonal noch stärker durch Verwaltungs- und Assistenzkräfte unterstützt werden, die im Personalschlüssel nicht als Fachkräfte zählen dürften.
„Die Botschaft der Teilnehmer:innen an uns war: Schön, dass endlich Klartext gesprochen wird. Werdet bitte noch lauter und übt mehr Druck auf die Politik aus und! Sogar die Politikerinnen auf dem Podium haben uns einhellig darum gebeten“, so Sibylle Schuster. Die Kitas seien chronisch unterfinanziert. „Die Leitungen sind es leid, dass sich Land, Bund und Kommunen die Verantwortung zuschieben. Am Ende müssen die Eltern bezahlen. Manche können das aber schlichtweg nicht. Dadurch erzeugen wir soziale Spaltung. Vor dem Hintergrund christlicher Werte können wir das nicht gutheißen.“
Mit diesem Flyer hatten KAB und Verband Kita-Fachkräfte Bayern für die Veranstaltung geworben.
Veronika Lindner, erste Vorsitzende des Verbands Kita-Fachkräfte Bayern, kritisierte, die Landespolitik dürfe sich nicht auf die Gewinnung von neuen Fachkräften versteifen. Sie müsse endlich auch die Bedürfnisse der bestehenden Fachkräfte in den Blick nehmen – damit diese nicht wegen Überlastung und schwindender Qualität frustriert das System verließen. Maßnahmen wie 2023 die Änderung der Kinderbildungsverordnung (BayKiBiG), durch die nun auch Personen ohne pädagogische Ausbildung Kitas leiten dürfen, brächten das Fass zum Überlaufen. Die Politik solle nicht immer wieder die gleichen Fehler machen. Statt zulasten des Erziehungspersonals gesetzliche Ansprüche auf Betreuung auszuweiten, sollten Eltern z.B. die Möglichkeit erhalten, länger Elterngeld zu beziehen, um das Kita-System in der aktuellen Situation des Platz- und Personalmangels zu entlasten.
Dr. Alexa Glawogger-Feucht vom Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern dagegen verteidigte die Änderung der Kinderbildungsverordnung: Träger sollten keine Kürzungen bekommen, wenn sie keine pädagogischen Fachkräfte als Leitungen einsetzen könnten. Dennoch empfehle ihr Verband, nur pädagogische Fachkräfte als Leitung einzusetzen und nutze dies als Unterscheidungsmerkmal. Glawogger-Feucht plädierte für ein überparteiliches Commitment zu den Kitas. Man brauche mehr Geld im System. Mehr Geld bringe mehr Fachkräfte.
Christine Muschalla, Kita-Verbundsleiterin, benannte klar die bestehenden Defizite. In der Stadt Freising hätten bereits im Vorjahr 680 Kita-Plätze gefehlt. Und natürlich komme es wegen der dünnen Personaldecke vor, dass Beschäftigte aller Qualifikationsstufen mit den Kindern allein seien. Tatsächlich werde der Betrieb oft noch aufrechterhalten, wenn Einrichtungen eigentlich wegen Fachkräftemangels geschlossen werden müssten. Zudem würden Ergänzungs- und Fachkräfte in Ausbildung viel zu früh in den Anstellungsschlüssel eingerechnet. Muschalla erhielt frenetischen Applaus aus dem Publikum.
Melanie Huml (CSU), MdL, Staatsministerin a.D. und Mitglied im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags, war als Vertreterin der langjährigen Regierungspartei in Bayern durchgängig mit Kritik konfrontiert. Sie nehme mit, dass das bayerische Weiterbildungsprogramm für Quereinsteiger nicht perfekt sei, sagte Huml. Dennoch habe man zusätzliche Menschen für Kita-Berufe gewinnen können. Man müsse nun gemeinsam sehen, was man verbessern könne. Der Freistaat habe die finanziellen Mittel für die Kitas jedes Jahr massiv aufgestockt, obwohl diese im Aufgabenbereich der Kommunen lägen.
Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen), MdL und Fraktionsvorsitzende, stellte fest, die Kita-Fachkräfte hätten das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Bayerischen Landesregierung längst verloren. Seit Jahren werde vor dem Thema gewarnt. Nun müssten endlich ernsthafte Reformen folgen. Es sei besser, gleich in vernünftige Kitas investieren als später in die Korrekturen sozialer Missstände. Ihre Partei sei immer bereit, mit der Staatsregierung zusammenzuarbeiten. Schulze appellierte, die Anwesenden sollten nicht den Glauben an die Politik insgesamt verlieren. Es gebe demokratische Alternativen.
Doris Rauscher (SPD), MdL und Vorsitzende des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag, erklärte, sie wünsche sich einen stärkeren Schulterschluss der Sozialpolitiker:innen über Parteigrenzen hinweg. Denn es gebe ein sichtbar großes Problem im Kita-Bereich. Die Finanzierung der Kitas dürfe nicht auf die Kommunen abgewälzt werden. Bildung sei Ländersache. Der Bund dagegen müsse nichts geben, habe dies aber beispielsweise beim Programm für Sprach-Kitas getan. Rauscher sprach sich dafür aus, die Wirtschaft noch stärker mit der Situation zu konfrontieren.
Zur Podiumsdiskussion „SOS in den bayerischen Kitas – Praxis trifft Politik“ am 19.03.2024 hatten sich gut 200 Teilnehmer:innen im großen Saal des Münchner KKV-Hansa-Hauses eingefunden. Dieser war bis zur Kapazitätsgrenze gefüllt. Anwesend waren fast ausschließlich Fach- und Führungskräfte aus dem Kita-Bereich, ergänzt um Schulleiter von Fachakademien, wenigen Eltern und weitere Interessierte. Dem hohen Frauenanteil in der Branche entsprechend waren über 80 Prozent der Anwesenden weiblich. Allen Teilnehmer:innen wurden im Anschluss standardisierte Feedbackbögen angeboten. Diese wurden zusammen mit den Redebeiträgen auf dem Podium und aus dem Publikum berücksichtigt.
Pressemitteilung zum Download:
240322_KAB-Pressemitteilung-SOS-in-den-Kitas-Nachbericht.pdf
Podium v.l.n.r.: Melanie Huml (CSU); Katharina Schulze (Grüne); Doris Rauscher (SPD); Dr. Alexa Glawogger-Feucht (Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern); Christine Muschalla (Kita-Verbundsleitung); Veronika Lindner (Verband Kita-Fachkräfte Bayern); Sibylle Schuster (KAB München und Freising). Foto: KAB
Blick aus dem Saal auf die Bühne. Foto: KAB
Gruppenfoto im Anschluss an die Diskussion. V.l.n.r.: Sibylle Schuster (KAB München und Freising); Doris Rauscher (SPD); Claudia Gürkov (Moderation); Veronika Lindner (Verband Kita-Fachkräfte Bayern); Melanie Huml (CSU; Michael Wagner (KAB München und Freising); Christine Muschalla (Kita-Verbundsleitung); Katharina Schulze (Grüne); Dr. Alexa Glawogger-Feucht (Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern); Hanne Möller (KAB München und Freising)
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