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04.11.2025

Metanoiete – denkt neu! Predigt gegen Sparpolitik zum Diözesantag 2025

KAB-Diözesanpräses Michael Wagner predigt im Gottesdienst zum Diözesantag 2025. Foto: KAB


Austerität, das klingt nach nüchterner, vernünftiger Sparpolitik. Doch es ist ein Instrument, das die Demokratie schwächt, den Sozialstaat aushöhlt und die Schwächsten trifft. Ein altes Denken, das sich als neu tarnt und die Gesellschaft entmenschlicht, analysiert KAB-Diözesanpräses Michael Wagner.

Metanoiete! Predigt von KAB-Diözesanpräses Michael Wagner zum Diözesantag 2025

Die Predigt bezieht sich auf die Bibelstelle Röm 12,1-2:

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom.

1 Ich ermahne euch, Schwestern und Brüder,
kraft der Barmherzigkeit Gottes,
eure Leiber als lebendiges, heiliges
und Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen –
als euren geistigen Gottesdienst.

2 Und gleicht euch nicht dieser Welt an,
sondern lasst euch verwandeln
durch die Erneuerung des Denkens,
damit ihr prüfen und erkennen könnt,
was der Wille Gottes ist:
das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!

1. Die Welt, der wir uns nicht angleichen sollen

„Lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens", so ermahnt uns Paulus im Römerbrief. Eine Erneuerung des Denkens. Metanoiete, würde Jesus sagen: Denkt neu, ändert euer Verhalten. Paulus schreibt diese Worte in einer Zeit, in der es darum ging, einen Weg zu finden, der Juden, Heiden und Christen zusammenbringen sollte. Kritisch, selbstkritisch, solidarisch, respekt- und vor allem liebevoll. Einen Weg der Freiheit zu gehen als eigenen Weg, sich nicht der Welt anpassen, aber sich auch nicht isolieren. Das war die Herausforderung damals. Das ist unsere Herausforderung heute.

Heute wird uns ein bestimmtes Denken als alternativlos verkauft. Austerität – das klingt nach nüchterner, vernünftiger Sparpolitik. Nach der schwäbischen Hausfrau, die gewissenhaft und vorsichtig mit ihrem Geld umgeht. Doch, was geschieht, wenn Sparsamkeit zur obersten Tugend wird, auch dort, wo Menschen Schutz, Bildung, Pflege oder Arbeit brauchen? Dann reduziert sich das Leben selbst zur bloßen Position in der Bilanz. Der Mensch wird degradiert zum Kostenfaktor.

Weder ist Staat ist eine schwäbische Hausfrau. Noch ist Austerität ein tugendhafter Sparwille. Austerität ist vielmehr ein politisches Instrument. Ein Instrument, das bewusst gewählt wird. Das Demokratie schwächt, den Sozialstaat aushöhlt und die Schwächsten trifft.

2. Ein Blick in die Geschichte: Das verschüttete neue Denken

Die italienische Ökonomin Clara E. Mattei hat uns die Augen geöffnet für einen dramatischen Moment in der Geschichte. In den Zwanzigerjahren entstand in Italien eine Bewegung um die Zeitschrift „L'Ordine Nuovo" – die Neue Ordnung. Arbeiterinnen und Arbeiter, sozialistische Führungsfiguren und Intellektuelle kamen zusammen. Sie wagten es, neu zu denken. Diese Bewegung erkannte vier grundlegende Wahrheiten, die bis heute aktuell sind:

Erstens: Der Kapitalismus ist keine Naturordnung, die schon immer da war und immer sein wird. Er ist von Menschen gemacht, deshalb kann er auch von Menschen verändert werden. Er ist nicht gottgewollt, nicht alternativlos, nicht Naturgesetz."

Zweitens: Arbeiterinnen und Arbeiter benötigen Handlungsmacht. Sie sind nicht bloße Kostenfaktoren, sondern Gestalterinnen und Gestalter der Gesellschaft.

Drittens: Handeln ist Denken, Denken ist Handeln. Erkenntnis und Praxis gehören zusammen, wie es auch Paulus meint, wenn er vom „geistigen Gottesdienst" spricht, der sich in unserem leiblichen Leben vollzieht.

Viertens: Ökonomie ist stets Politik und darf nicht getrennt von ihr betrachtet werden. Die Wirtschaftswissenschaft gibt sich gern neutral, als würde sie nur Fakten liefern wie ein Wetterbericht. Aber hinter jeder Sparempfehlung, hinter jeder Reform stecken Interessen und Entscheidungen: Wer profitiert? Wer zahlt? Die Wirtschaft darf sich nicht als neutrale Wissenschaft über die Politik stellen, sie muss demokratisch gestaltet werden.

Das war die Neue Ordnung, das Nuovo Pensiero – ein neues Denken. Um diese Bewegung zu zerstören, reagierten die wirtschaftlichen Eliten. Sie erfanden die Austerität. Und verbreiteten die These, dass wir uns Wohlfahrt nicht mehr leisten können. Mit der Austerität schufen sie ein Instrument, um die Beschäftigten zu disziplinieren, die gestärkten Arbeitnehmerrechte zu schwächen und Formen der Beteiligung der Beschäftigten wieder rückgängig zu machen.

Die Folgen waren verheerend: Heute vor 96 Jahren, am 25. Oktober 1929, am sogenannten Schwarzen Freitag kam es zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Darauf folgten Militarisierung, Mobilmachung, und schließlich der italienische Faschismus. Der Faschismus diente dann dazu, die Unordnung, die Austerität selbst verursacht hatte, wieder in Ordnung zu bringen. Und noch etwas geschah: Alle berechtigten Fragen, ob der Kapitalismus wirklich der allgemeinen Wohlfahrt dient, wurden zum Schweigen gebracht. Das neue Denken wurde zu Grabe getragen.

3. Das alte Denken, das sich als neu tarnt

Heute erleben wir dasselbe Muster. Heute greift ein Denken um sich, das ein altes Denken ist, das eigentlich überwunden gehört. Die Argumente, die wir heute hören, scheinen von denen der 20iger wörtlich abgeschrieben worden zu sein. Neue Flexibilität wird heute gefordert. Einst ist der 8-Stunden-Tag schwer erkämpft worden. Sind morgen 13 Stunden am Tag Regel der Zukunft?

Der Leistungsbegriff von heute bezieht sich auf das Bürgertum von gestern. Doch denken wir etwa an den Schriftsteller Franz Kafka, den bürgerlichen Beamten aus Prag. Er arbeitet von 8 bis 14 Uhr. 6 Stunden. Das war kein Einzelfall. Sondern vom Bürger wurde selbstverständlich erwartet, sich privat zu engagieren, um Gesellschaft zu gestalten. Leistung ging für den Bürger weit über die Lohnarbeit hinaus. Die bürgerliche Mitte beruft sich heute auf gestern, ignoriert aber zugleich, dass es gestern bessere Arbeitszeiten gab als heute.

Und dann kam es zur Perversion des Leistungsbegriffes:  "Arbeit macht frei." Das Dritte Reich machte dies zum Kampfbegriff. Während der Arbeitslose in der Weimarer Republik noch als hilfsbedürftig angesehen wurde, erklärten ihn die Nationalsozialisten zum Abschaum. Wer nicht arbeitet, der gehört nicht zur Volksgemeinschaft, ist Feind der Arbeiterschaft. Der wurde verstoßen, verfolgt und in Arbeitslagern und KZs durch Arbeit hingerichtet. Die jüdische Bevölkerung galt dabei als Vorbild für das arbeitsscheue Gesindel.

Wenn heute das Bürgergeld zur "Hölle der Faulenzer" erklärt wird, wenn den Schwachen "Kaskaden der Sanktionen" angedroht werden, dann schrillen alle Alarmglocken. Reformen, die auf Kosten der Schwächsten gehen, sind keine Reformen. Es sind Schritte, die Gesellschaft entmenschlichen. Altes Denken ist wieder da.

4. Die Erneuerung des Denkens

„Lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens", ermahnt uns Paulus. Das neue Denken haben nicht Menschen erfunden. Sie haben es gefunden, weil sie der Botschaft Jesu begegnet sind. Die Begegnung mit ihm, mit seinem Wort und seinen Taten führt dazu, neu zu denken und mich zu verwandeln. Gott denkt dabei nicht von den Reichen, den Mächtigen her, sondern von denen, die leiden, ausgeschlossen sind, Ohnmacht erleben. Das neue Denken schaut auf das, was Menschen verbindet, nicht was sie trennt. Das Christentum war deshalb erfolgreich, weil es die Vereinzelten zusammenführte und sie zu einer Gemeinschaft machte. Jesus ruft nicht die Reichen in seine Nachfolge, sondern die Abgehängten, Randständigen, Ausgebeuteten.

Heute heißt das für uns als KAB, Arbeit neu zu denken. Arbeit umfasst mehr als Lohnarbeit. Sorgearbeit, die hauptsächlich Frauen schultern, indem sie Kinder erziehen, Eltern pflegen, den Haushalt versorgen, gehört gesellschaftlich gewürdigt. Das alte Denken des Neoliberalismus, der Carearbeit entwertet, um möglichst Rendite für die Reichen herauszuschlagen, gehört überwunden.

Das alte Denken, das Wachstum und Fortschritt die Allheilmittel seien, gehören geschreddert. Weil sie nicht einmal 200 Jahre alt sind und die Menschheit Jahrtausende ohne ein derart manischen Fortschrittswahn und Wachstumswahn gelebt haben. Hier gilt es das alte Denken wieder neu zu beleben, nämlich Wirtschaft hat sich zu sorgen. Der freie Markt ist ein Ramschartikel, der aus dem Sortiment genommen gehört. Es braucht stattdessen eine Ordnung, die die Potentiale der Menschen fördert und dafür sorgt, dass der Mensch im Mittelpunkt steht.

„Die Krise der Arbeit ist die Krise der Demokratie", sagt Papst Franziskus. Nur eine Arbeit mit Würde ermöglicht auch die Würde der Demokratie. Hier steht die Entscheidung an: Austerität oder Sorge. Welchem Denken folgen wir: „Dem Diktat der knappen Kassen“, das seit Gerhard Schroeder in Regierungsdokumenten kolportiert wird, um die Rechte der Beschäftigten zu einzuschränken und den Sozialstaat zu kürzen? Oder dem Denken, dass Geld genug für alle vorhanden ist? Dass der Staat, wenn es politisch gewollt ist, Gelder zu generieren, durch gerechtere Steuern, eine progressive Finanzpolitik, Reformen, die den Sozialstaat stärken.

Paulus ermahnt uns, unsere Leiber – unser konkretes, leibliches Leben – als lebendiges Opfer darzubringen. Das heißt: das Leben selbst zum Gottesdienst zu machen. Einen Gottesdienst, der sich nicht der Welt angleicht, die Menschen zu Kostenfaktoren macht. Das gelingt nur, wenn wir dem Kompass der biblischen Botschaft und der Soziallehre folgen. Deren Weg der Liebe und Barmherzigkeit sorgt sich um die Nöte Zeit und führt zu den Menschen hin.

Neu denken heißt somit auch, ich bin Teil einer Gemeinschaft. Einer Gemeinschaft, die eine Gegenerzählung lebt. Nicht die Austerität bringt Erlösung, sondern nur ein Leben in Fülle. Die KAB war und ist Teil dieses neuen Denkens. Eine Bewegung, die Arbeiterinnen und Arbeiter als Träger der Würde sieht, als Gestalter der Gesellschaft, als Kinder Gottes. Nichts ist ohne Alternative. Es gibt eine neue Ordnung – eine Ordnung der Sorge, der Solidarität, der Menschenwürde, der Liebe, der Barmherzigkeit.

Austerität oder Sorge. Zu Tode sparen oder ins Leben investieren? Wagen wir neu zu denken, mutige Schritte der Befreiung zu gehen? Wagen wir neu zu denken, Zukunft zu eröffnen, um selber Zukunft haben zu können?



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