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15.07.2025

KAB-Wallfahrt nach Maria Eich: Hinsehen statt Wegschauen!

Über 500 Pilgerinnen und Pilger machten sich auf den Weg nach Maria Eich – begleitet von klaren Worten unseres Diözesanpräses Michael Wagner. Seine Predigt fordert heraus: Nicht wegsehen, sondern handeln!

Hinsehen statt Wegschauen!

Unter diesem starken Leitgedanken stand unsere KAB-Wallfahrt nach Maria Eich am 13. Juli – und über 500 Menschen haben gemeinsam ein starkes Zeichen gesetzt.

Diözesanpräses Michael Wagner erinnerte in seiner Predigt eindringlich daran, wie wichtig es ist, nicht wegzusehen – weder im Kleinen noch im Großen. Ob beim Leid von Flüchtenden, bei ausbeuterischen Arbeitsbedingungen oder bei sozialer Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft (die ganze Predigt können Sie im Anschluss nachlesen)

Christliche Nächstenliebe heißt auch, Strukturen zu hinterfragen und zu verändern.

Nicht nur trösten und helfen, sondern verhindern, dass Menschen überhaupt erst zu Opfern werden – dafür steht die KAB. Ein herzliches Dankeschön an alle Mitpilgernden, die Forstenrieder Blaskapelle und Hans Leberfing für die schönen Bilder!

   
     
       

Predigt

KAB-Wallfahrt Maria Eich, von Diakon Michael Wagner

Leid, das kalt lässt

Ein Boot vor der griechischen Küste. Menschen in Rettungswesten. Müde Gesichter. Eine Kameraeinstellung in den Nachrichten. Sekunden später – der Wetterbericht. Ich sehe alles. Aber schaue ich auch hin? Lasse ich mich anrühren vom Leid? Oder lenke ich mich lieber ab? Wie etwa in Tim Bendzkos Song: „Ich muss nur noch kurz die Welt retten und 148 Mails checken.“ Diese Geschäftigkeit ist reiner Vorwand. Sie lenkt ab, um emotional auf Blindflug zu schalten. Statt Weltrettung betreibt die Person hier Selbstschutz. Das ist reine Ironie: Ich fliehe mich in Aufgaben und Pflichten, um dem anderen nicht wirklich als Mensch begegnen zu müssen.

Jesus fragt nicht:„Was checkst du als Nächstes?“ Oder: „Was steht als Nächstes an?“ Er fragt: „Wem wirst du zum Nächsten?“

Nicht nur dieses Ablenken, sondern auch das Radfahrerprinzip, nach oben buckeln, nach unten treten, hat sich in den Alltag der Menschen eingeschlichen. Es herrscht eine Kultur des Wegschauens. All das macht mich blind, taub und gefühlsarm. Aber auch nichts tun, Hilfe zu unterlassen, ist Sünde. Papst Franziskus hat dies wiederholt betont. Wenn Menschen wegschauen, entsteht daraus ein System, das Leiden ausblendet. Es entsteht eine strukturelle Sünde, die aus einem Geflecht aus Geflecht aus ökonomischen, politischen und kulturellen Mechanismen besteht. Das entlastet zwar das Gewissen des Einzelnen. Zugleich macht es die Opfer unsichtbar und reduziert Menschen nur auf ihre Funktion hin.

Die Straße von Jerusalem nach Jericho

Solch ein System struktureller Sünde schildert Jesus im Gleichnis. Die Straße von Jerusalem nach Jericho war berüchtigt: Eng, steil, von Räubern kontrolliert. Dort liegt ein Mensch halbtot am Wegesrand. Zwei fromme Männer sehen ihn, schauen aber weg und gehen vorbei: ein Priester und ein Levit. Beide sind nicht blind oder boshaft. Doch beide fühlen sich ihrem System verpflichtet. Dessen Regeln sind strikt zu befolgen. Die Angst vor Verunreinigung verengt ihre Wahrnehmung, lässt sie die Not des Menschen am Rande ausblenden.

Ihr Wegschauen ist eingeübt. Nur so geraten sie nicht mit den Regeln ihres religiösen Systems in Konflikt. Da läuft ein Automatismus ab. Die Pflicht des Systems steht über der Zuwendung zum Nächsten. Diesen durchbricht erst der Fremde. Ein Samariter, politisch verfeindet, religiös verachtet. Doch der Samariter, sieht hin, lässt sich berühren und handelt. Indem Jesus den Samariter als Beispiel wählt, provoziert er alle, die sich in etablierten Grenzen eingerichtet haben.

Jesus legt den Finger in die Wunde. Das Problem ist nicht mangelnde Empathie. Der Priester und Levit wissen, wie der Gesetzeslehrer, der Jesus auf die Probe stellen will, dass sie zur Nächstenliebe verpflichtet sind. Aber in diesem Falle kostet die Nächstenliebe Zeit, gefährdet die rituelle Reinheit und verlangt den Einsatz von Geld. Das alles riskiert der Samariter: Seinen Ruf, seine Sicherheit. Zwei Denare gibt er für einen Fremden. Das entspricht dem Lohn von zwei Tagen. Wer liebt, rechnet nicht.

Dem Evangelisten Lukas geht es hier, wie auch in vielen anderen Gleichnissen, nicht um eine individuelle Schuldfrage. Lukas will vielmehr Strukturen aufdecken, die Menschen in Schuld verstricken, die Menschen dazu bringen, notwendige Hilfe zu unterlassen. Es geht darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es gar nicht erst zu einer Verwundung kommen muss. Damit übersteigt die Nächstenliebe die Ebene zwischen zwei Menschen. Denn, wenn die Nächstenliebe nicht nur eine Versorgung anstrebt, sondern verhindern will, dass Menschen ihrer Würde beraubt werden, wird Nächstenliebe politisch. Politisch, weil sie beginnt, Strukturen zu hinterfragen und zu verändern.

Strukturelle Gewalt heute

Der Weg von Jerusalem und Jericho wird auch heute beschritten. Wir leben in modernen Systemen und Strukturen, die ausgrenzen und unsichtbar machen, die zu Sünde, Not und Entwürdigung führen. Unsere Kleidung, Elektronik, unser Lebensstil gründen auf unsichtbarer Arbeit unter unwürdigen Bedingungen. Da sind Kinderhände, die in seltene Metalle aus den Minen schürfen. Da sind Frauen, die unter Atemnot in stickigen Fabriken arbeiten. Da sind Content-Moderatoren, die traumatische Inhalte sichten, damit die Welt ein ethisch sauberes Internet hat.

Das Lieferkettengesetzt sollte hier endlich verbindliche Standards setzen. Doch es wird wieder entschärft. Es sei zu teuer, zu bürokratisch. Wer die Opfer in der Lieferkette nicht sehen will, zementiert würdelose Arbeit. Wenn der Profit das oberste Gebot ist, steht die Menschenwürde dem Profit im Weg. Der geschundene, ausgeraubte Mensch, verschwindet unsichtbar hinter einer glänzenden Verpackung. 

Die Migration wird als „Mutter aller Probleme“ stigmatisiert. Hier wird völlig weggesehen, denn: Flucht ist die Tochter kolonialer Ausbeutung, der Enkel militärischer Interventionen, die Schwester eines Systems der Globalisierung, unter dessen Sucht nach Konsum und stetigem Wachstum Mutter Erde und der arbeitende Mensch nur noch stöhnen können. Der Westen profitiert, während andere ihre Lebensgrundlagen verlieren.

Arbeitsrechte werden zunehmend torpediert und geschwächt. Es wird weggesehen, dass hier ein Arbeitsethos gepredigt wird, der in dunkler Vergangenheit seine braunen Wurzeln hat. Der Nächste wird zum Nächsten, nur und allein indem er etwas leistet. Wer dem Profit dient, der darf sich zur Gesellschaft dazugehörig fühlen. Während in der Weimarer Republik Arbeitslose noch bemitleidet worden sind und als Opfer der Wirtschaft anerkannt worden sind, ändert sich das im Dritten Reich. Dort wird der Arbeitslose systematisch zum Schuldigen erklärt, der keinerlei Recht besitzt zur Volksgemeinschaft dazu zu gehören. Dabei muss man sich nur einmal vor Augen halten, dass 8 von 10 Menschen Bürgergeld empfangen, weil sie aufstocken. Ihr Lohn ist so gering, dass der Staat sie unterstützen muss.

Es wird zugleich systematisch und gewollt weggesehen, dass die Spaltung der Gesellschaft längst von oben nach unten verläuft: Zwischen einem überbordenden Überreichtum einerseits und einer wachsend grassierenden Armut andererseits. Wenn dann noch von Förderung und Flexibilisierung gesprochen wird, meint das nicht Freiheit für Beschäftigte, sondern freie Fahrt für die Gewinn der Aktionäre.

Milliarden strömen in Rüstungsprojekte. Gerechter Lohn für sozial- und Pflegeberufe gelten dagegen als Belastung. Wegschauen ist systemimmanent, denn Panzer sind sichtbar. Die Armut in den Pflegeheimen, die Unterversorgung in den Kliniken, die Not von Kindern, die bleiben unsichtbar hinter verschlossenen Türen. Überall hier greift derselbe Mechanismus: Wer leidet, wird an den Rand geschoben, sei es geografisch, medial oder finanziell.

KAB Perspektive

Die KAB ist einst entstanden, weil Christen sich nicht abgefunden haben mit einem 16-Stunden Arbeitstag, Kinderarbeit und Hungerlöhnen. Sie organisierten Solidarkassen, Bildungsangebote und Arbeitsrechtskampagnen. Sie wollten nicht nur Sanitäter sein, um Opfer zu versorgen, sondern verhindern, dass Menschen überhaupt erst zu Opfern werden. Die KAB folgt dem Ruf nach struktureller Gerechtigkeit. Sie macht die Lieferketten transparent, auch wenn es Geld kostet. Verteidigt die Tarifbindung und Mitbestimmung, auch wenn Algorithmen immer neue Ausreden finden. Stellt die Frage nach Fluchtursachen, nicht nur nach Grenzschutz. Investiert in Frieden, Diplomatie, gerechten Handel und Klimaschutz, anstatt Aufrüstung als Allheilmittel zu feiern. 

In seiner Enzyklika „rerum novarum“ – „über die neuen Dinge“ hat Papst Leo XIII. bewusst hingeschaut auf die Opfer der industriellen Revolution und damit die katholische Soziallehre begründet. Heute beruft sich Papst Leo XIV. eben auf das, was damals bereits gesehen worden ist. Er will die Menschen auffordern, auch heute neu hinzusehen. Im Dreischritt von sehen – urteilen – handeln, fragt die Soziallehre damals wie auch heute aktuell: „Wem werde ich zum Nächsten?“

Der Samariter sieht die Not seines Nächsten. Sehen ist dabei aber mehr als registrieren. Sehen im biblischen Sinn meint, der Blick bewegt das Herz und die Hände folgen. So tut der Samariter fünf Dinge: Er tritt heran, verbindet, hebt den Menschen auf sein Tier, bringt ihn in die Herberge und bezahlt. Der Samariter plant die Anschlussversorgung. Liebe ist eben nicht nur Emotion. Nein, Liebe ist auch Organisation.

Heute sieht, wer Petitionen unterzeichnet, im Betriebsrat mitwirkt, Geschichten erzählt, wie Not überwunden werden kann. Erzählen ist ein Anfang, weil das Sichtbarkeit stiftet. Jeder verschobene Blick ist ein Raub an der Würde. Jeder klärende Blick ein Pflaster. Jede organisierte Handlung ein Verband.

Stellen wir uns vor, der Überfallene stünde morgen dankbar auf. Wem begegnet er? Wem hilft er weiter? Nächstenliebe ist keine Einbahnstraße. Sie ist ein Netz. Jeder Knoten hält nur, wenn viele ihn halten. Strukturelle Sünde zerreißt dieses Netz. Entschiedenes Hinsehen knüpft es neu. Was muss ich tun, um das Leben zu erlangen? Sieh hin und entscheide dich. Wem werde ich der Nächste sein? 

Hierzu segne Gott die christliche Arbeit! Gott segne sie! Amen!



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